Cem Krimizitoprak bezeichnet sich selber als Aktivisten, der eine Meinung hat und diese auch kundtut. In St. Gallen hat er die «Beratungsstelle Inklusion» aufgebaut - als Kontrapunkt zu den Angeboten der Behindertenverbände. Cem ist politisch und in den sozialen Medien aktiv. Auf seiner Facebook-Seite nennt er sich «Cems Bond der Inklusionsagent».
Cem Krimizitoprak, deckst du als Geheimagent üble Machenschaften auf?
Die Bezeichnung «Cems Bond, der Inklusionsagent» stammt von einem St. Galler Stadtparlamentarier. Mir gefiel sie, also habe ich diesen Titel übernommen. Meine Tätigkeit als «Agent» ist vielfältig. Übergeordnet wehre ich mich gegen jede Ausgrenzung von Menschen. Dabei ist es mir aber stets ein Anliegen, lösungsorientiert vorzugehen und den Dialog zu suchen. Wenn dies nicht genügt, lanciere ich gerne Aktionen, die Augen öffnen. Damit will ich verhindern, dass andere erleben, was ich erleben musste.
Wenn man dich googelt, erkennt man, wie aktiv du bist und dass du dich öffentlich mitteilst. Warum hört man dir zu?
Ich bin Mitglied der SP und habe für mehrere politische Ämter kandidiert. Zuvor wurde ich weniger gehört. Während mehr als zehn Jahren habe ich mich und meine Beratungsstelle entwickelt und sichtbare Ergebnisse geliefert. Beispielsweise habe ich Austauschsitzungen mit Heim-bewohnenden und der Stadt St. Gallen organisiert, die wichtige Erkenntnisse gebracht haben.
Und deine neuste Idee ist nun eine Rollstuhl-Stadtführung für den St. Galler Stadtrat?
Bei dieser Stadtführung sitzen die Stadträtinnen und Stadträte selber im Rollstuhl. Sie werden versuchen, über Pflastersteine zu fahren, selbständig in den Bus ein- und auszusteigen und andere Hürden zu meistern. Ich habe diese Aktion organisiert, weil Rollstuhlfahrende sogar bei den neu gekauften St. Galler Bussen noch immer nicht selbständig einsteigen können.
Hat der Stadtrat schnell für diesen Anlass zugesagt?
Ja, innerhalb von drei Tagen. Aber diese kurze Reaktionszeit ist nicht nur mit der Sensibilität für das Thema erklärt. Denn ich habe gute Beziehungen zu den Medien, was dem Stadtrat bekannt ist. Er will die Medienpräsenz nutzen und sich als sozial engagiert positionieren. Einzelne Mitglieder im Stadtrat sind dies tatsächlich, andere weniger. Aber letztlich profitieren so alle von dieser Aktion.
Sprechen wir von der Fachstelle Inklusion. Wie ist sie entstanden?
Ich versuchte vier Mal, mich beruflich eingliedern zu lassen. Und vier Mal wurde dies abgelehnt. Beim letzten Mal fragte man mich, ob ich mir noch Hoffnungen mache, eine Ausbildungsstelle zu finden. Da antwortete ich: «Ich zeige Ihnen jetzt, wie das funktioniert». Also habe ich Weiterbildungen absolviert, etwa zum lösungsorientierten Ansatz und zu Konfliktmanagement. Dann habe ich mich mit Stadt und Kanton vernetzt und verschiedene Podien veranstaltet. Schliesslich habe ich die Beratungsstelle aufgebaut. Heute sind wir schon zu zweit mit meiner Sekretärin, die ebenfalls im Rollstuhl sitzt. Wir sind klein, aber oho. Zum Beispiel haben wir erreicht, dass der Kanton St. Gallen bei den Ergänzungsleistungen eine Erhöhung der Haushaltspauschale prüft.
Wer wendet sich an die Fachstelle und mit welchen Anliegen?
Wir sind da für jedes Inklusionsanliegen. Bis jetzt suchen uns hauptsächlich Menschen mit Behinderungen auf, da wir zwei Mitarbeitende selber auch Behinderungen haben. Allerdings stehen wir mit diesem Angebot in Konkurrenz zu den Behindertenverbänden. Im Vergleich zu deren Beratung kostet unsere 30 Franken pro Dossier, da wir nicht subventioniert sind. Ich bin den Verbänden gegenüber überhaupt zwiespältig eingestellt. Eigentlich sollten Menschen mit Beeinträch-tigungen selber für sich einstehen dürfen und dafür auch die benötigte finanzielle Unterstützung erhalten.
Im Moment unterstütze ich eine Person aus dem Kanton Basel darin, ein angepasstes Bett zu erhalten. Da diese Person im Heim lebt, antwortete die IV abschlägig. Also beantragen wir das benötigte Geld bei Stiftungen. Daneben engagieren wir uns mit der Fachstelle aber auch für ge-meinschaftliche Anliegen. Zum Beispiel organisieren wir Begehungen mit Menschen mit Beeinträchtigungen, um etwa das Hochbauamt mit wichtigen Erkenntnissen zu versorgen. Solche Aktionen ernten viel Anerkennung.
In einem Interview hast du einmal gesagt: «Oftmals, wenn ich vor Leuten spreche, sage ich als erstes, dass ich «imfall auch ein A...loch» bin». Ähm… wie bitte?
Vor einiger Zeit habe ich einen Kurs geleitet, an dem überwiegend Schülerinnen teilgenommen haben. Da habe ich diese radikale Frage gestellt: «Was würdet ihr machen, wenn ich euch als Rollstuhlfahrer an die Brust fasse? Und was würdet ihr im gleichen Fall tun, wenn ich kein Rollstuhlfahrer wäre?» Es sind zwei verschiedene Antworten gekommen. Nämlich, dass sie dem Fussgänger eine Ohrfeige verpassen, sich vom Rollstuhlfahrer aber einfach entfernen würden. Das ist seltsam, denn der Mensch ist doch der gleiche.
Und wahre Inklusion bedeutet, beide zu ohrfeigen?
Genau. Inklusion bedeutet, jeden gleich zu behandeln. Im Umkehrschluss meine ich damit natürlich auch, Menschen mit Behinderungen die Chancen zu geben, als ob gar keine Behinderung vorhanden wäre. Von Inklusion wird heute viel gesprochen. Echte Inklusion wird aber kaum gelebt.
Die Beratungsstelle Inklusion ist MO-FR zu Bürozeiten erreichbar.
Cem auf Facebook
Die inklusive Stadtführung in St. Gallen findet am 23. September in St. Gallen statt. Interessierte kontaktieren Cem via Facebook.