Diagnose Borderline: Jlona Dreyer geht sehr offen mit diesem etwas schwer fassbaren Zustand um. Sie macht anderen Mut, sich Hilfe zu holen. Auch wenn Borderline nervt und viel Kraft kostet, sieht Jlona darin nicht nur Negatives.
Wie fühlt sich Borderline an?
Es ist in erster Linie sehr anstrengend. Zur Diagnose gehören zum Beispiel Stimmungsschwankungen, die Angst davor, verlassen zu werden oder auch selbstschädigendes Verhalten. Wenn fünf von neun Kriterien auf einen zutreffen, hat man Borderline (lacht).
Ich nehme Emotionen sehr stark wahr, stärker als andere Menschen. Manchmal fühlt es sich so an, als ob ich neben dem, was ich gerade tue, permanent meinen Kopf in Schach halten muss. Das ist anstrengend und manchmal frustrierend.
Hast du ein Beispiel?
Es gibt doch in jedem Job Dinge, die man weniger gern macht, das ist normal. Die meisten Menschen sagen sich «Augen zu und durch». Ich dagegen habe damit extrem Mühe.
Nimmst du Borderline als Einschränkung oder als Eigenart wahr?
Insgesamt schon eher als Einschränkung. Allerdings empfinde ich ja auch die positiven Gefühle viel stärker und kann mich extrem freuen. Wenn man so will, ist das die positive Seite meiner Störung.
Beschäftigt dich deine Krankheit jeden Tag?
Sehr. Es ist etwas, das immer da ist und auch nicht geheilt werden kann. Deshalb ist Borderline für mich eher eine Störung als eine Erkrankung.
Wie gehst du damit um?
Ich habe mit professioneller Hilfe gelernt, mich selbst zu regulieren. Es gibt für Borderliner eine spzezielle Therapie. Manchmal kappt’s besser, manchmal schlechter.
Macht dich Borderline kreativer?
Ich glaube schon. Ich ticke etwas anders. Borderline ist ein Teil meiner Persönlichkeit und macht mich auch aus. Man könnte sogar sagen, es gibt mir auch etwas zurück.
Ich zeichne viel und verarbeite meine Gefühle so. Ohne Borderline hätte ich vielleicht gar nicht dazu gefunden. Wenn es mir nicht so gut geht und das Gedankenkarussel beginnt zu drehen, ist das Zeichnen das, was mir am besten hilft.
Wann fühlst du dich am wohlsten?
Zu Hause, dort ist mein «safe space». Mit meinem Partner und meinen drei Katzen (lacht).
Was hilft dir in Anspannungsphasen?
Mir hilft Bewegung, frische Luft und Natur. Interessanterweise nicht unbedingt Sport. Einfach draussen zu sein, tut mir gut.
Wie wichtig sind für dich Netzwerke und der Austausch mit anderen?
Der Austausch ist aus meiner Sicht der wichtigste Schritt bei einem psychischen Leiden. Menschen, die dasselbe haben wie ich, können sich besser in mich hineinversetzen. Ich kann gut nachvollziehen, dass es für «Gesunde» schwierig ist, nachzuvollziehen, wie sich Borderline anfühlt. Netzwerke wie zum Beispiel Madnesst oder den Live-Stream mit Robin Rehmann finde ich sehr wichtig. Als ich jünger war, hätte ich mir gewünscht, Zugang zu mehr Informationen zu haben.
Du gehst offen mit deiner Geschichte um. Welche Erfahrungen machst du mit dieser Offenheit?
Mir ist es ein grosses Anliegen, dass ich dazu beitragen kann, psychische Erkrankungen zu normalisieren. Man soll darüber sprechen können, wie bei physischen Erkrankungen auch. Sonst hat man irgendwie das Gefühl, man sei falsch.
Leider habe ich im Arbeitsumfeld erlebt, dass anders mit mir umgegangen wird, wenn ich von meinem Borderline spreche. Ist das nicht merkwürdig? Ich bin ja noch dieselbe Person wie vorher. Andererseits verstehe ich auch den Arbeitgeber. Es ist halt nicht so, dass ich wie nach einer Magengrippe nach einer Woche wieder voll gesund bin.
Was nervt dich am meisten an deiner Borderline-Störung?
Dass ich alles so stark empfinde. Es raubt einfach Energie. Und mich nervt auch, dass man es nicht offensichtlich sieht. Es wäre für viele dann wohl einfacher, damit umzugehen.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Es sollte normaler sein, dass man sich Unterstützung holt und etwas für seine psychische Gesundheit tut. Indem ich dazu beitrage, aufzuklären, sehe ich für mich einen Sinn.