Kletterlager 2020 «Vitamin Berg»

Klettern und Bergsteigen mit Handicap ist möglich. Der Verein «Vitamin Berg» nimmt Menschen mit einer Beeinträchtigung mit in die alpine Schweizer Bergwelt. Mit acht Teilnehmenden und zehn freiwilligen Begleitpersonen fand im August 2020 eine aktive Woche in der Bäregg-Hütte am Grimselpass statt.

«Die Woche ist für die Teilnehmenden ein Highlight», sagt Bergführer Ralf Weber. Dank Wetterglück konnte das Programm mit Bergsteigen, Wandern, Klettern in alpinem Gelände, Baden im Bergsee und Technikkunde ohne Abstriche durchgeführt werden.

«Am meisten freue ich mich jeweils auf den Kontakt mit den anderen Teilnehmenden und die Woche in der Natur - ohne Verbindung zur Aussenwelt» sagt Daniela Greub, die das Kletterlager bereits seit vier Jahren besucht.

Das Lagerhaus «Bäregg» befindet sich auf einem Plateau mit freier Sicht auf den Oberaargletscher und ist vom Oberaarsee in 20 Minuten zu Fuss erreichbar.

Für Daniela, die an Cerebraler Parese leidet, war die Besteigung des mittleren Siedelhorns der persönliche Höhepunkt. Sie hätte aufgrund ihrer Einschränkung und den Hindernissen auf dem Bergweg nie gedacht, dass sie das Ziel erreichen kann. Umso grösser die Freude, als sie als erste Teilnehmerin mithilfe zweier Begleitpersonen am kurzen Seil den Gipfel erreichte.

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 Der Verein Vitamin Berg legt Wert auf das aktiven Erleben und Mitgestalten der Woche. Alle sind im Lageralltag integriert und helfen mit: vom Kaffee kochen bis mit zum Gelingen des Zusammenlebens. Die Teilnehmenden sind tagsüber in verschiedenen Gruppen unterwegs, abends treffen sich alle zum Austausch. So ist es möglich, den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden und doch ein gemeinsames Lagergefühl aufkommen zu lassen. Dazu gehören auch Gesellschaftsspiele, Spaziergänge oder Knotenkunde.  Wer möchte, findet aber auch Zeit für sich mit einem guten Buch.

Seline Infanger und Tanja Elsener waren das erste Mal als Begleitpersonen im Lager dabei. Sie arbeiten in der Aktivierungstherapie im Schlossgarten Riggisberg. 

«Wir sind beeindruckt, was hier geleistet wird und welche Schranken bereits geöffnet worden sind»

so ihr Fazit nach der Woche. Beeindruckt haben sie die körperlichen und mentalen Leistungen der Teilnehmenden, aber auch der Einsatz der Lagerleitung und der Begleitpersonen. Die Normalität, wovon die Fachwelt oft spricht, ist hier selbstverständlich. Eine Hierarchie ist zu keinem Zeitpunkt spürbar, mehr eine bewusste Rollenverteilung und eine gegenseitige Akzeptanz. Dies ermöglicht ein Zusammensein auf Augenhöhe und ohne Schranken.

Fuss

Weitere Stimmen der Teilnehmenden:

«Das erste Mal in meinem Leben bin ich mit einer selbstgebauten Seilbahn gefahren.» 

Kathrin Hartmann, die bereits 21 Jahre dabei ist, bedeutet das Lager sehr viel. Trotz ihrer Epilepsie geniesst sie Klettern und Bergsteigen. 

«Mein Papa ist in den Bergen immer bei mir.»

Philippe denkt in den Bergen oft an seinen verstorbenen Vater und fühlt sich mit ihm verbunden. Das gibt dem 28-Jährigen mit Trisomie 21 viel Energie und Selbstvertrauen, während er klettert oder die Berge besteigt. Was man Philippe auf den ersten Blick nicht ansieht: Er hat Höhenangst hat und schafft es immer wieder, sie zu überwinden.

«Auf dem Siedelhorn musste ich weinen, solch grosse Freude hatte ich!»

Thomas Weber ist schon jahrelang dabei. Er konnte dieses Mal sein Ziel vom Besteigen des Siedelhorns verwirklichen. Es war sein Vorschlag, der den Bergführer zur Umsetzung inspirierte. Thomas ist ein Fan der Schweizer Marke Mammut. Er ist der Meinung, dass ein richtiger Bergsteiger nur diese Marke trägt, Mammut-Träger werden von Thomas sofort ins Herz geschlossen.

«Juhuuu, jaa – juhuuu»

Das sind Annas Laute am Ziel einer Kletterroute. Aufgrund ihrer Kommunikationseinschränkung zeigt sie uns ihre besten Momente des Lagers auf den Fotos ihres Tablets: Seilbahnfahren, das Baden im Bergsee, sowie das Klettern. Auch zeigt sie uns immer wieder die Fotos mit dem Frosch des Bergbaches in ihrer Hand. Inspiriert vom Märchen «Froschkönig» ist sie nämlich auf der Suche nach einem Prinzen.

«Die Mehrseillänge und das Abseilen am Staudamm gefielen mir am besten.»

Gerold, der bereits 26 Jahre beim Verein dabei ist, ist geübter Kletterer und kennt das Übernachten in Massenschlägen, da er die Sommersaison jeweils auf der Windgällenhütte im Kanton Uri als Hüttenhilfe verbringt. Ebenso kennt er sich mit dem Bergsteigen aus und führt in diesem Jahr sogar eine neue Begleiterin des Lagers in die Methode des kurzen Seils ein. Gerold liess sich am Seil führen und konnte durch seine Erfahrung der Begleiterin Anweisungen und Rückmeldungen geben.


«Ich kann selber das Seil knoten, den Partnercheck machen und klettern»

sagt Sascha Moser, der zweimal wöchentlich mit Gerold und Daniela den Kletterkurs in der Halle Pilatus Indoor besucht. Von dort kennen sie die diesjährige Hauptlagerleitung Caroline Käser, die an der Seite des Bergführers das Lager organisiert. 


«Freundinnen treffen und neue Freundschaften knüpfen»
antwortet Barbara Gygax (Trisomie 21) auf die Frage, was ihr am Lager am besten gefällt. Sie ist mit ihren 54 Jahren eine der älteren Teilnehmerinnen und ebenfalls wie Kathrin und Gerold ein Urgestein des Vereins.